Destruktive Führung: Warum sich der (unangenehme) Blick lohnt
Kai C. Bormann, Universität Bielefeld
Destruktives Führungsverhalten haben viele Beschäftigte bereits am eigenen Leib erlebt und verursacht Jahr für Jahr substantielle Kosten. Wir brauchen daher eine Managementforschung, die sich auch dieser Schattenseite von Führung widmet; die aufzeigt, wie ökonomischer Schaden abgewendet und wie das Wohl der geführten Beschäftigten geschützt werden kann.
Loben, unterstützen, Visionen aufzeigen oder Vorbild sein – die Liste guter Führungsverhaltensweisen ist lang wie vermeintlich einleuchtend. Es gibt eine Vielzahl fruchtbarer Perspektiven, die effektive Führung beschreiben. In den letzten Jahren setzt sich allerdings zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese positivistische Sichtweise zu einseitig bleibt, um den Führungsalltag und die Konsequenzen für Leistungsfähigkeit, und -wille der geführten Beschäftigten zu beschreiben. Die Forschung befasst sich daher zunehmend auch mit destruktiven Formen von Führung. Offen feindselige Verhaltensweisen wie Demütigen, Schikanieren oder Mobben umfassen die sogenannte ‚abusive supervision‘, ein Konstrukt, das in den letzten Jahren die internationale Führungsforschung prägt wie wenige andere Perspektiven1.
Wenn wir wissen, dass gute Führung Leistung fördert, worin liegt dann der Mehrwert, negativen Phänomenen wie abusive supervision eine so breite Bühne zu bereiten? Wäre es nicht gesellschaftlich wertvoller, Forschung würde sich im Sinne eines humanistischen Wissenschaftsverständnisses der Verankerung guter Führung in der betrieblichen Praxis widmen? Die Antwort sind Zahlen, die nicht nur die Prävalenz destruktiver Führung untermauern, sondern auch ihren wirtschaftlichen Schaden andeuten. So zeigt eine Befragung aus Norwegen, dass sich mindestens 33,5 % der Befragten relativ häufig destruktiven Formen von Führung ausgesetzt sehen2. Forscherinnen und Forscher schätzen zudem den nationalen volkswirtschaftlichen Schaden, der jährlich von destruktiver Führung ausgeht, auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Destruktive Führung ist also ein Stück weit verankert im Führungsalltag. Dies bedeutet auch, dass es teils noch immer den (Irr-)Glauben gibt, Führung mit harter Hand und Einschüchterung sei ein angemessenes Mittel, um auf Aufgabenerfüllung und Zielerreichung hinzuwirken. Faszinierend und alarmierend zugleich sind hier aktuelle Studienergebnisse, die nahe legen, dass Opfer von destruktiver Führung ihre Arbeitsleistung kurzfristig erhöhen, um das Risiko neuerlicher Erniedrigung zu vermindern3. Die langfristigen Konsequenzen destruktiver Führung – und hier herrscht Einigkeit in der Forschung – sind allerdings negative Effekte auf Motivation und Leistung der Opfer. Jede Organisation, die destruktive Führung toleriert, schneidet sich betriebswirtschaftlich ins eigene Fleisch.
Es ist eine zentrale Errungenschaft der Forschung, ein Bewusstsein für destruktive Führung geschaffen zu haben und zu ihrer Enttabuisierung beizutragen. Forschung in diesem Bereich wird wichtig bleiben. Nicht zum Selbstzweck oder mit dem Ziel, destruktiver Führung durch das Aufzeigen (kurzfristiger) leistungssteigernder Effekte Legitimität zu verschaffen. Es geht darum, zu verstehen, was Führungskräfte zu solchem Verhalten motiviert. Dieses Wissen lässt sich nämlich dann nutzen, um Alternativen zu identifizieren, die die gleichen Ziele erreichen, das Wohl der Geführten aber nicht gefährden.
Kai C. Bormann, Universität Bielefeld
Quellenangaben:
1 Tepper, B. J., Simon, L., & Park, H. M. (2017). Abusive supervision. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 4, 123-152.
2 Aasland, M. S., Skogstad, A., Notelaers, G., Nielsen, M. B., & Einarsen, S. (2010). The prevalence of destructive leadership behaviour. British Journal of Management, 21(2), 438-452.
3 Liao, Z., Lee, H. W., Johnson, R. E., Song, Z., & Liu, Y. (2021). Seeing from a short-term perspective: When and why daily abusive supervisor behavior yields functional and dysfunctional consequences. Journal of Applied Psychology, 106(3), 377.