Bürokratie

Mark Ebers, Universität zu Köln

„Bürokratie“ und „bürokratisch“ haben einen schlechten Ruf. Dieser ist nicht unverdient. Aber Bürokratie hat auch ihre guten Seiten, die man nicht vergessen sollte. Bei der Gestaltung bürokratischer Strukturen und Prozesse sollte daher bewusst abgewogen werden, wie viel Bürokratie sinnvoll ist.

Wir erleben Bürokratie nicht selten so: lange Antragsformulare; detaillierte Vorgaben; komplizierte Vorschriften, die regeln, was wann von wem wie entschieden werden darf; lange Wartezeiten auf Entscheidungen. Wir empfinden Bürokratie oft als überformal, überreguliert und lästig. Wir haben den Eindruck, sie stehe eher im Dienste derer, die sie vollziehen, als der Klientel, welcher sie dienen soll. Schließlich bedeutet Bürokratie ja wörtlich: Herrschaft des Verwaltungsapparates. Dabei ist Bürokratie kein Phänomen allein öffentlicher Verwaltungen, sondern findet sich ebenso in privaten Unternehmen, seien sie nun gewinnorientiert oder gemeinnützig. Bürokratie kennzeichnet alle größeren Organisationen, überall auf der Welt, in der Moderne, aber auch schon davor. Sie regelt in diesen Organisationen die Vorbereitung und Umsetzung der meisten Entscheidungen, betreffen diese nun Investitionen, Finanzierung, Personaleinstellungen und -entlassungen, Urlaub oder die Neuproduktentwicklung.

Organisationen können jedoch mehr oder weniger bürokratisch sein. Die Metaanalyse von George et al. (2021) hat gezeigt, dass ein Übermaß an intern gesetzten Regeln, Vorschriften und Verfahrensrichtlinien (internal red tape) die Leistung von Organisationen signifikant negativ beeinflusst; allerdings ist die Stärke des Einflusses eher gering. Einen ebenfalls signifikant negativen, schwachen Einfluss besitzt internal red tape gemäß dieser Studie auf die Beschäftigten, zum Beispiel deren Zufriedenheit, Bindung, Motivation und Engagement.

Ein zu viel an Bürokratie kann also pathologisch wirken. Ein zu wenig an Bürokratie aber ebenso. Denn wenn unklar ist, wer für welche Entscheidungen zuständig und verantwortlich ist, wer wem gegenüber weisungsbefugt ist, welche Regeln und Verfahren bei der Entscheidungsfindung eingehalten werden sollten und wenn nicht festgehalten wird, welche Entscheidungen getroffen wurden, dann können größere Organisationen nicht effizient funktionieren. Dann herrschen Chaos, Willkür und Verantwortungslosigkeit.

Selbst solche Organisationen, die versuchen, sehr unbürokratisch zu operieren, kommen ohne ein gewisses Maß an Bürokratie nicht aus. Hamel und Zanini (2018) führen das Beispiel des sehr erfolgreichen chinesischen Haushaltsgeräteherstellers Haier an, um das Ende der Bürokratie zu verkünden. Zwar stützt sich Haier intern wenig auf Hierarchie und zentrale Planung, sondern setzt stattdessen in hohem Maß auf Markt- und Anreizmechanismen. Doch kommt das Unternehmen nicht umhin, zugleich eine Fülle von Regeln und Standards vorzugeben, welche die Funktionsweise des internen Marktes und die Vergabe von Anreizen regulieren. Ähnlich verhält es sich bezüglich einer anderen, vermeintlich unbürokratischen organisatorischen Innovation: agilen Arbeitsformen. Agile Arbeitsformen sind flexibel, anpassungsfähig, schnell und kundenorientiert. Aber sie sind deshalb keineswegs unbürokratisch. Im Gegenteil, die einschlägigen Methoden wie SCRUM und Co. weisen alle Merkmale bürokratischer Organisation auf, die Max Weber identifiziert hat: Sie basieren auf strikter Arbeitsteilung, teilen den Rolleninhaberinnen und -inhabern klare Entscheidungsrechte und Verantwortung zu, etablieren eine Hierarchie und bedienen sich zur Verschriftlichung von Arbeitsschritten und -ergebnissen Product und Sprint Backlogs, Burndown-Tabellen sowie Reviews.

Mein Fazit: Ohne Bürokratie geht es nicht. Es kommt darauf an, die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig bürokratischer Organisation zu finden.

Mark Ebers, Universität zu Köln
          

Literatur

Bendix, R. 1947. Bureaucracy: The problem and its setting. American Sociological Review, 12(5): 493-507.

George, B., Pandey, S. K., Steijn, B., Decramer, A., & Audenaert, M. 2021. Red tape, organizational performance, and employee outcomes: Meta-analysis, meta-regression, and research agenda. Public Administration Review, 81(4): 638-651.

Hamel, G., & Zanini, M. 2018. The end of bureaucracy. Harvard Business Review, 96(5-6): 50-59.