Theory of the firm redux
Günther Ortmann, Universität Witten/Herdecke
Die Theorie der Unternehmung, einst Kern der betriebswirtschaftlichen Theoriebildung, steht nicht mehr hoch im Kurs. Für Klaus Brockhoff etwa ist sie in Gefahr entweder der Leere oder einer Komplexität, die sich nicht handhaben lässt. So berechtigt diese Befürchtung ist: Mein Vorschlag ist, doch einen Weg zwischen dieser Skylla und jener Charybdis zu suchen.
Das scheint mir nötig, nicht zuletzt, weil Unternehmen wie Shell, Volkswagen, Deutsche Wohnen, Google, Facebook & Co oder auch Banken Gegenstände sind, die von der Theorie (nicht nur, aber auch) als Ganze in den Blick genommen zu werden verdienen, deren Einheit als integrierte Systeme – integriert durch den institutionellen Imperativ ‚Gewinn‘ (Gutenberg) und entsprechende common goals/common goods – nicht restlos in Dimensionen, Facetten oder (inter- oder intra-) fachdisziplinäre Aspekte aufgelöst werden sollte. Denn als Ganze entfalten sie ihre gesellschaftlichen und besonders ihre ökonomischen Wirkungen – als korporative Akteure, als Ganze rechtsfähig, als Ganze über Ressourcen, Kompetenzen und Machtmittel gebietend – und in vielen Ländern, wenn auch nicht in Deutschland, strafrechtlich verantwortlich.
Sie sind aber Gegenstände der Theorie, und als solche sind sie nicht konstitutiv für die Disziplin ‚Betriebswirtschaftslehre‘ (sondern können auch, überflüssig zu sagen, Gegenstand der Volkswirtschaftslehre, der Soziologie, der Geschichts-, der Rechtswissenschaft etc. sein) – Stichworte: Erfahrungsobjekt, Erkenntnisobjekt, Identitätsprinzip ‚Wirtschaftlichkeit‘. Gegenstände, verstanden als Erfahrungsobjekte, und gegenstandskonstitutive Probleme verlangen per se nach inter- oder transdisziplinärer theoretischer Behandlung.
Selbst wenn man aber innerhalb der ökonomischen Theorie bleibt, sticht störend und doch belebend ins Auge, dass es eine Vielzahl von Theorien der Unternehmung gibt – die Theorien zum Beispiel der Gutenberg, Barnard/Simon, Cyert/March, Edith Penrose, Heinen und Kirsch, Hirschman, Alchian/Demsetz, Jensen/Meckling, Nelson/Winter, Coleman, Coase/Williamson, Oliver Hart und Viktor Vanberg unterscheiden sich ja beträchtlich voneinander.
Erschwerend kommt hinzu, dass eine ganze Reihe zunächst heterodoxer, dann zum Teil integrierter Einsichten und Ansätze den Gedanken der Wirtschaftlichkeit als Identitätsprinzip der Betriebswirtschaftslehre irritiert und kompliziert haben: Simons Konzept begrenzter Rationalität, die Anerkennung der Rolle der Informationen durch die Informations- und die der Institutionen durch die neue Institutionenökonomik, Fred Hirschs positionale Güter, Akerlofs Heterodoxien (rat race economics, lemons etc.), Deirdre McCloskeys Rhetoric of Economics, Kahnemann/Tverskys Entscheidungsanomalien, die behavioral economics, die Ergebnisse der experimentellen Wirtschaftsforschung à la Ernst Fehr, Armin Falk & Co, die Paradoxien genuiner Unsicherheit, Elinor Ostroms Analysen der Allmende und der Common-Pool-Ressourcen, Paul Davids Theorem der Pfadabhängigkeit, um nur diese zu nennen. Vertrauen, das nicht Gegenstand eines ökonomischen Tauschs und bloßer Nutzenorientierung sein kann – „can’t buy me trust“ –, hat seit Arrow enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. Und so fort.
Die Rolle der Unternehmen ändert sich selbstverständlich auch, wird aber keineswegs geringer, durch neue gesellschaftliche Anforderungen – Stichworte: Netzwerkgesellschaft, digital worlds, Plattform-Ökonomie, Open Source/Open Innovation, Finanzkapitalismus, Hierarchiekritik, Demokratisierung, CSR, Nachhaltigkeit, Gaben- und sharing-Ökonomie (etwa im Rahmen von knowledge-sharing networks).
Das alles ist Grund genug, eine sozioökonomische Theorie der Unternehmung auf die Tagesordnung zu setzen, die auf jene Herausforderungen antwortet, in empirischer, aber auch normativer Stoßrichtung. Das wirft nicht zuletzt epistemologische Fragen auf: nach dem epistemischen Ding ‚Unternehmung‘, nach ihrer Akteurseigenschaft, nach dem Status von Kritik gesellschaftlich bedenklicher Funktionen und nach den Möglichkeiten, der gebotenen Multiperspektivität gerecht zu werden, via Inter- und Transdisziplinarität und/oder einer integrationsstarken Metatheorie, etwa, das wäre für den Anfang mein Favorit, einer strukturationstheoretisch unterfütterten Integration des soziologischen und des ökonomischen Neo-Institutionalismus, gewürzt mit Kritik an der organisierten Unverantwortlichkeit sensu Beck, soweit Unternehmen ihr Vorschub leisten.