Betriebswirtschaftslehre und Corporate Governance

Birgitta Wolff, Goethe-Universität Frankfurt/M.

In der Praxis des Hochschulmanagements steckt mit guten Gründen inzwischen viel BWL. Im Schrifttum dazu fehlen einschlägige Referenzen teilweise noch. Ein Beispiel illustriert, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, uns einzubringen.

Zur Vermittlung der unterschiedlichen Ansprüche, Auffassungen und Rechte innerhalb von Hochschulen unterscheidet der Wissenschaftsrat vier Governance-Modi (Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Hochschulgovernance, Drs. 7328, 2018):

Kollegiale Selbstorganisation, Wettbewerb, Verhandlung und Hierarchie.

Zur Beurteilung, welcher Modus für welche Art von Entscheidung eingesetzt werden soll, bietet der Wissenschaftsrat eine Systematik („Analysemodell“). Er nennt Kriterien zu Chancen und Risiken der jeweiligen Modi:

Entschlussfähigkeit, Gewährleistung individueller Autonomie, Legitimität und Akzeptanz, Transparenz, Konstanz und Kohärenz, Konfliktfestigkeit, Ressourcensensibilität.

Mit 28 Feldern (4 Modi x 7 Kriterien) ergibt sich eine komplexe Tabelle (s.u.). Sie illustriert gut, dass Hochschulgovernance nicht nur irgendwo zwischen Selbstorganisation der Akteurinnen und Akteure sowie der Hierarchie mäandert, sondern auch Diskursprozesse und Wettbewerb wichtig sind.

Eine Besonderheit der Hochschulgovernance ist die grundgesetzliche Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Dazu gibt es gute inhaltliche Argumente für einen kooperativen Managementstil: Kein Mensch, auch kein Gremium ist in einer Expertenorganisation alleine informiert und schlau genug, um immer optimal entscheiden zu können. Je komplexer und informationsintensiver Leistungsprozesse ablaufen, desto größer sind die Vorteile kooperativer und arbeitsteiliger Entscheidungsstrukturen, weil dezentral vorliegende Informationen besser in Entscheidungen einfließen. 

Eine nur dezentrale oder vollständig partizipative Governance kann aber auch organisationsschädigend wirken. Unführbarkeit wäre in Situationen, die schnelles und übergreifend koordiniertes Handeln verlangen, nachteilig. Das zeigte sich in der Corona-Krise, als z. B. an der Goethe-Universität mit präsidialem Eil-Entscheid Studien- und Prüfungsregelungen kurzfristig vor dem Sommersemester 2020 geändert wurden, um ein rechtssicheres Studium zu angepassten Bedingungen zu ermöglichen. Der Senat holte die breite Debatte und Abstimmung schnellstmöglich nach.

In der BWL-Literatur wird erläutert, warum es trotz mancher wissens- und informationsökonomischer Vorteile dezentraler und kollektiver Governance-Modi und Führungsstile auch Situationen gibt, in denen zentrale Entscheidungen vorteilhaft sind. Milgrom & Roberts (Economics, Organization and Management, 1992) begründen mit der Bedeutung schneller, zeitkritischer und exakter Passung von verschiedenen Entscheidungsfeldern die Notwendigkeit zentraler, unmittelbar umsetzbarer Entscheidungen: Wenn dezentrale Informationen ohne große Folgen für das Gesamtsystem vor Ort vorliegen und somit dort entschieden werden kann, seien dezentrale Entscheidungsstrukturen vorzuziehen (Innovation Decisions). Wenn aber das Zusammenspiel, die exakte Passung aller dezentralen Bewegungen einer Organisation und externer Einflüsse erfolgsentscheidend ist, weil zahlreiche Interdependenzen bestehen, müsse zentral entschieden werden (Design Decisions). Beispiel ist eine Armee im Einsatz: Wenn es von rechts und links knallt, muss erstens schnell und zweitens perfekt koordiniert unter Kenntnis der Gesamtlage entschieden werden.

Das Beispiel ist weit vom Uni-Alltag entfernt. Gleichwohl hätte ich mir im Wissenschaftsratspapier explizite Hinweise auch auf informationsökonomische Begründungen von Governance-Modi gewünscht.

Birgitta Wolff, Goethe-Universität, Frankfurt am Main

 

Quellen:

Milgrom, Paul & John Roberts: Economics, Organization & Management. 1992, Prentice-Hall.

Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Hochschulgovernance, Drs.7328-18. 2018, Hannover.