Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Ist Mitbestimmung im Arbeitgeberlager nicht mehr strittig?

Werner Nienhüser, Universität Duisburg-Essen

Topmanagerinnen und Topmanager sowie Unternehmerinnen und Unternehmer äußern sich häufig positiv über die gesetzliche Mitbestimmung der Beschäftigten. Dies erweckt den Eindruck, dass auch diese sozialen Gruppen die Mitbestimmung akzeptieren. In diesem Beitrag wird die These einer durchgängigen Akzeptanz durch die Kapitalseite in Zweifel gezogen.

Dass Topmanagerinnen und Topmanager, Unternehmerinnen und Unternehmer sich häufig positiv über die gesetzliche Betriebs- und Aufsichtsratsmitbestimmung äußern, erzeugt den Eindruck, das Kapital habe nach vielen Jahrzehnten seinen Frieden mit der Mitbestimmung gemacht. Nicht selten wird die Zustimmung damit begründet, dass alle gelernt hätten, dass Mitbestimmung sich auch einzelwirtschaftlich lohnt. Ich behaupte dagegen, dass viele Akteure der Kapitalseite (vielleicht sogar eine Mehrheit) Mitbestimmung keineswegs akzeptieren.

Erstens zeigen Unternehmensverbände und viele Unternehmen ein Verhalten, das mit der Akzeptanz-These nicht vereinbar ist: Die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie will die Mitbestimmung im Aufsichtsrat auf eine Drittelbeteiligung der Beschäftigten reduzieren. Unternehmen entziehen sich der Mitbestimmung durch die Wahl der Rechtsform; die Gründung von Betriebsräten wird zu verhindern versucht, die Arbeit von Betriebsräten behindert. Lediglich 9 Prozent aller betriebsratsfähigen Betriebe haben einen Betriebsrat.

Zweitens ist es wenig plausibel, dass Mitbestimmung sich in allen Betrieben für die Kapitalseite lohnt. Man kann hier die Theorie von Freeman und Medoff in Anschlag bringen. (Diese Sichtweise konzentriert sich auf ökonomische Wirkungen. Dass Mitbestimmung als ein eigenständiges Ziel und nicht nur instrumentell gesehen werden kann, wird in diesem Ansatz ignoriert. Da für die Akteure der Kapitalseite einzelwirtschaftliche Wirkungen im Vordergrund stehen, kann man die Theorie zur Beantwortung der hier anstehenden Frage nutzen.) Freeman/Medoff zufolge hat Mitbestimmung zwei gegenläufige Wirkungen. Einerseits wirkt sie im Sinne von „Rent-Producing“ - sie vergrößert den „Kuchen“. Wenn Beschäftigte ihren Forderungen institutionalisiert Gehör („Voice“) verschaffen können, dann senkt dies die Fluktuationsneigung und erhöht die Motivation, in betriebsspezifisches Humankapital zu investieren. Dies wirkt positiv auf die Wertschöpfung. Mitbestimmung hat andererseits eine „Rent-Seeking“-Wirkung, d. h., auf die Verteilung des „Kuchens“: Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten tragen z. B. dazu bei, höhere Löhne durchzusetzen.

Zwischen der Erzeugung und Verteilung der Wertschöpfung kann ein Trade-off entstehen: Wenn der Teil der Wertschöpfung, der durch die Mitbestimmung zusätzlich an die Belegschaft verteilt wird, größer ist als der durch „Voice“ zusätzlich erzeugte Teil, dann wird Mitbestimmung aus Kapitalsicht unattraktiv. Dies dürfte in Betrieben der Fall sein, in denen die Ansprüche an betriebsspezifisches Humankapital gering sind und es (aus Kapitalverwertungsperspektive) weniger notwendig erscheint, Beschäftigte an den Betrieb zu binden. Damit dürfte es Betriebe und Unternehmen geben, in denen der Nettoeffekt der Mitbestimmung negativ ist.

All dies spricht gegen die These einer weitreichenden Akzeptanz der derzeitigen gesetzlichen Mitbestimmung durch die Kapitalseite.

Werner Nienhüser, Universität Duisburg-Essen 

 

 Sick, S. (2013/2021): Zitatesammlung Pro Mitbestimmung. Hans-Böckler-Stiftung. www.boeckler.de/pdf/mbf_zitatesammlung.pdf (07.09.2021).

 Höpner, M./Waclawczyk, M. (2012): Opportunismus oder Ungewissheit? Die Arbeitgeberhaltungen zum mitbestimmten Aufsichtsrat. In: Industrielle Beziehungen, 19: 314–336.

 Freeman, R. B./Medoff, J. L. (1984): What Do Unions Do? New York.