Humankapital
Die entscheidende Ressource für Unternehmen und Arbeitskräfte
Martin Schneider, Universität Paderborn
Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler erklärten „Humankapital“ zum „Unwort des Jahres 2003“. Doch für Führungskräfte in Unternehmen und ihre Arbeitskräfte ist es zentral, das Konzept zu kennen. Es macht verständlich, wer wie viel und in welche Art von Qualifizierung investieren sollte, damit Unternehmen wettbewerbsfähig und Arbeitskräfte beschäftigungsfähig bleiben.
„Humankapital“ bezeichnet das Einkommenspotenzial, das sich aus den Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (kurz: den Kompetenzen) einzelner Personen oder auch Belegschaften ergibt. Gary Becker hat das Konzept in den 1960er Jahren entfaltet. Der Begriffsbestandteil „Kapital“ zeigt den Investitions- und Vermögenscharakter von Bildung. Humankapital ist produktiv, aber es muss durch Lerninvestitionen aufgebaut und kontinuierlich erhalten werden. Der Begriffsbestandteil „human“ verweist darauf, dass es sich hier um ein eigenartiges Vermögen handelt. Es ist an die Person gebunden und buchstäblich in ihr verkörpert. In der Begründung dafür, „Humankapital“ zum „Unwort des Jahres 2003“ zu erklären, kritisierten die Sprachwissenschaftler, dass es „die primär ökonomische Bewertung aller denkbaren Lebensbezüge“ fördere und die Frage nach dem Wert des Menschen in „Euro und Cent“ kalkuliere. Aus ökonomischer Sicht ist dies allerdings ein grobes Missverständnis. Der Begriff bezieht sich nämlich nicht auf den Menschen selbst, sondern auf die Einkommenspotenziale individueller Kompetenzen.
Die Einsichten jedenfalls, die sich aus dem Konzept gewinnen lassen, sind enorm. In einem ansonsten rohstoffarmen Land ist das Humankapital die entscheidende Ressource für Unternehmen. Weil von individueller Bildung positive externe Effekte ausgehen, sollte der Staat in Schulen, Hochschulen und betriebliche Bildung investieren. Aus Sicht von Beschäftigten lassen sich individuelle Kompetenzen potenziellen Arbeitgebern gegenüber oft nur schwer nachweisen. Daher kommt Zertifikaten wie einem Hochschul- oder einem Technikerabschluss eine wichtige Signalwirkung zu – sie bescheinigen Kompetenzen und ihr Erwerb erhöht die Arbeitsmarktchancen. Wie sich das Humankapital durch Bildung erhöht, auch in Abhängigkeit von Branche und Berufsgruppe, können junge Menschen an Studien zum Lebenszeiteinkommen ablesen und dies in der Berufswahl und Bildungsentscheidung berücksichtigen.
Wenn sich Berufe und Branchen schnell wandeln, nutzt sich individuelles Humankapital schnell ab. Dem ist durch lebenslanges Lernen zu begegnen. Dabei müssen Beschäftigte darauf achten, welche Art von Kompetenzen sie sich aneignen. Allgemeine Bildung erhöht die Produktivität und damit das Einkommenspotenzial in vielen Unternehmen, spezifische Bildung nur in einem einzigen Unternehmen oder einer Branche. In einer dynamischen Wirtschaft ist es aus individueller Sicht besser, in allgemeine Bildung zu investieren, denn dies erhält die allgemeine Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität am Arbeitsmarkt. Spiegelbildlich dazu müssen Arbeitgeber überlegen, was und wieviel an Qualifizierung sie für ihre Beschäftigten (mit-)finanzieren möchten. Traditionell waren Arbeitgeber bei Investitionen in allgemeine Bildung, wie etwa Berufsbildung, eher vorsichtig. Heute müssen sie Arbeitskräften mit guten Arbeitsmarktchancen die Möglichkeit bieten, sich durch allgemein verwendbare Kompetenzen auch außerhalb ihres Unternehmens beschäftigungsfähig zu halten. Manche Arbeitgeber haben zudem in letzter Zeit große Schwierigkeiten, ihre Plätze in der dualen Berufsausbildung zu besetzen. Von besonderer Bedeutung für Bildungsentscheidungen ist die Digitalisierung. Sie zerstört Humankapital, indem sie bestimmte Kompetenzen oder ganze Arbeitsplätze überflüssig macht. Besonders anfällig hierfür sind Routinetätigkeiten, weil sie leicht von Robotern und Algorithmen übernommen werden können.
Martin Schneider, Universität Paderborn
Quellenangaben:
Schneider, M., Sadowski, D., Frick, B., & Warning, S. (2020). Personalökonomie und Personalpolitik: Grundlagen einer evidenzbasierten Praxis. Schäffer-Poeschel, Kapitel 5.