Digital Servitization in der Industrie

Mit digitalen Technologien vom Hersteller zum Dienstleister

Jens Pöppelbuß, Ruhr-Universität Bochum

Der Begriff Digital Servitization führt die Digitalisierung und Servitization als zwei wesentliche Entwicklungen in der Industrie zusammen. Er macht deutlich, dass die Transformation von Produzenten zu Dienstleistungs- und Lösungsanbietern gerade durch den Einsatz digitaler Technologien wirtschaftlich umsetzbar werden, und dass digitale Technologien ganz neue Potenziale für innovative dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle schaffen.

Digital Servitization? Zwei Megatrends werden einer, könnte man sagen. Und beide verändern die industrielle Wertschöpfung weltweit gerade merklich. Einerseits ist die Digitalisierung zurzeit in aller Munde. Produzierende Unternehmen treiben Industrie-4.0-Initiativen voran, um ihre Anlagen und Fabriken zu vernetzen, auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Sensorik legt ein Ohr an die Maschinen, um relevante Daten zu sammeln, diese in zentralisierte Cloud-Speicher oder digitale Plattformen zu laden und sie dort zu Zustandsinformationen und Prognosen auszuwerten. Maschinen treffen Entscheidungen immer häufiger autonom; sie justieren sich beispielsweise nach, um einen hochqualitativen Output zu gewährleisten. Digitalisierung bedeutet darüber hinaus, papierbasierte Vorgänge abzuschaffen, mobiles Arbeiten zu ermöglichen und neue Kanäle für die Kommunikation und den Wissenstransfer zwischen den Beschäftigten sowie mit Kunden, Partnern und anderen Stakeholdern zu etablieren.

Andererseits sehen wir ein sich veränderndes Angebots- und Nachfrageverhalten. Nicht nur beim privaten Auto, sondern auch beim industriellen Investitionsgut setzt sich immer häufiger die Philosophie des „Nutzen statt Besitzen“ durch. Der klassische Produktverkauf ist an vielen Stellen sicher nicht vollständig zu verdrängen. Aber wir sehen bereits, dass Produkthersteller ihr Dienstleistungsportfolio kontinuierlich ausweiten oder sogar Produkte durch Dienstleistungen und Lösungen ersetzen. Diese Entwicklung wurde bereits im Jahr 1988 als Servitization bezeichnet.1 So lässt sich Druckluft auch erfolgreich „as a Service“ vermarkten anstatt Kompressoren zu verkaufen. Bauunternehmen erwerben kein Eigentum mehr an ihrem Equipment, sondern lassen es als Flotte durch den Produkthersteller managen; mit kurzfristigem Austausch bei Defekt oder Diebstahl. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich das Power-by-the-Hour-Konzept von Rolls Royce, bei dem bereits seit den 1960er Jahren Flugzeugturbinen nicht mehr verkauft, sondern pro Betriebsstunde bezahlt wurden. Durch diese Geschäftsmodelle gehen Anbieter- und Kundenseite langfristige Geschäftsbeziehungen ein. Der Anbieter übernimmt hierbei in der Regel Risiken, die zuvor die Kundin oder der Kunde getragen hat (z. B. für Ausfälle, für schwankende Nachfragen oder im Hinblick auf die Kapitalbindung).

Digitalisierung und Servitization als Triebfedern für Veränderungen in Unternehmen sind dabei im Zusammenspiel zu betrachten. Beide Entwicklungen sind nicht neu, sondern dauern seit Jahrzehnten an. Viele bereits lang gedachte Dienstleistungs- und Lösungskonzepte werden gerade erst durch den Einsatz aktueller digitaler Technologien praktisch umsetzbar und rentabel. Der Begriff Digital Servitization führt diese beiden Entwicklungen zusammen und ist seit ca. 2017 zunehmend gebräuchlich.2 Er steht dabei für die Entwicklung oder Verbesserung von Dienstleistungen durch den Einsatz digitaler Technologien, um innovative, digitale, kundenorientierte und nachhaltigere Geschäftsmodelle umzusetzen.3

Jens Pöppelbuß, Ruhr-Universität Bochum

 

Literaturhinweise:

1Vandermerwe, S., & Rada, J. (1988). Servitization of business: adding value by adding services. European Management Journal6(4), 314-324.

2Vendrell-Herrero, F., Bustinza, O. F., Parry, G., & Georgantzis, N. (2017). Servitization, digitization and supply chain interdependency. Industrial Marketing Management60, 69-81.

3Paschou, T., Rapaccini, M., Adrodegari, F., & Saccani, N. (2020). Digital servitization in manufacturing: A systematic literature review and research agenda. Industrial Marketing Management89, 278-292.