Transformative Service-Initiativen

Silke Boenigk, Universität Hamburg

Das Flüchtlingsintegrationsprojekt #UHHhilft der Universität Hamburg ist ein aktuelles Beispiel für eine sogenannte „Transformative Service-Initiative“ (TSI). Gestartet während der Flüchtlingskrise in 2015, beinhaltet das Projekt ein Netzwerk an sozialen Partnern und zahlreiche Maßnahmen, wie die Hilfe bei der Anerkennung von Zeugnissen, Sprachunterricht, Beratung, Besuch von Vorlesungen, u.a.m. Organisiert durch Angestellte, Studierende und Freiwillige, dienen das Netzwerk und die gebündelten Aktivitäten dem besseren Zugang zu Bildung für Geflüchtete. Transformative Service-Initiativen sind demnach definiert als gezielte Aktivitäten von Organisationen (Public, Private und Nonprofit-Organisationen) und/oder Freiwilligen zum Wohle (well-being) und zur Integration von vulnerablen Gruppen in die Gesellschaft (Boenigk et al. 2021, S. 1).

Transformative Service-Initiativen (TSIs) sind ein junges Forschungsthema der BWL, das auf aktuelle soziale Herausforderungen reagiert und in der interdisziplinären Dienstleistungsforschung angesiedelt ist. Als Teilbereich der Transformative Service Research (TSR) wird es aktuell als neue Forschungspriorität zur Gestaltung von „Sustainable Service Ecosystems“ diskutiert (Field et al. 2021, siehe service research priorities number 7). Fisk et al. (2018) formulieren es wie folgt: “Moving to socially inclusive service systems requires tools and methods for fostering service inclusion, which is why design for service inclusion is proposed” (S. 846). Diese Aufgaben lassen sich folglich auch in der Wissenschaftlichen Kommission „Public, Nonprofit und Health Care Management“ verorten, die seit der Gründung im Jahre 1979 den Fokus auf die Entwicklung von betriebswirtschaftlichen Konzepten für Nonprofit-Organisationen, Verwaltungen, soziale Dienstleistungsunternehmen, Krankenhäusern etc., legt.

Der Ablauf, beginnend bei einer Service-Exklusion, also der Nicht-Teilhabe von Personen an (öffentlichen) Dienstleistungen, über die Teilnahme einer Person an einer Transformative Service-Initiative, bis hin zu einem Zustand der Service-Inklusion (Fisk et al. 2018), ist ein sehr komplexer Integrationsprozess, der als theoretische Fundierung zumeist auf soziologische Erklärungsansätze zurückgreift (siehe Abb. 1). Boenigk et al. (2021) entwickelten ein konzeptionelles Modell zu TSIs, das grob drei Phasen unterscheidet. In der Aufmerksamkeitsphase (awareness phase) geht es um die adäquate Bekanntmachung der Initiative bei den vulnerablen Zielgruppen. In der darauffolgenden Teilnahmephase (alignment phase) findet eine Anpassung der eigenen Kompetenzen durch die Dienstleistungsangebote der TSI statt, die am Ende des Prozesses z.B. befähigen, eine Bewerbung an eine Hochschule für ein Studium abzugeben. Die Zugangsphase (access phase) kennzeichnet das erfolgreiche Ende der TSI und bildet den ersten Schritt in Richtung einer verbesserten Integration in die Gesellschaft.

Die ersten empirischen Befunde deuten darauf hin, dass die Planung und Umsetzung von TSIs einen Beitrag zum Zugang zu Bildung leisten können. Durchgeführt wurden zwei Studien. In Studie 1 (N= 2068) wurde mittels Propensity Score Matching ein Vergleich von Geflüchteten mit versus solchen ohne Teilnahme an einer TSI vorgenommen. Es zeigten sich signifikante Effekte auf die Bewerbung und den Erhalt eines Studienplatzes bei aktiver Teilnahme an der TSI (Boenigk et al. 2021, S. 9). In Studie 2 wurden zudem qualitative Fokusgruppeninterviews durchgeführt, wobei zahlreiche Barrieren für die Teilnahme an einer TSI und dem Zugang zu Bildung identifiziert wurden. Als besonders interessant zeigte sich in den Interviews, dass Geflüchtete eigene Strategien entwickeln, um die existierenden Barrieren zu überwinden. Die „Counseling Strategy“ beinhaltet beispielsweise, dass Beratungsangebote der TSI wiederkehrend und über das normale Maß hinaus in Anspruch genommen werden, bis letztlich alle offenen Fragen geklärt sind. Es ist zu wünschen, dass Forschende der Betriebswirtschaftslehre diese Themen aufgreifen und weitere TSI-Projekte für vulnerable Zielgruppen, zum Beispiel zur Verbesserung des Zugangs zu Arbeit oder zum Gesundheitssystem, aufgreifen und weiterentwickeln.

Silke Boenigk, Universität Hamburg

Quellenangaben:

Boenigk, S., Aaron A. Kreimer, Annika Becker, Linda Alkire, Raymond P. Fisk, Sertan Kabadayi (2021). Transformative Service Initiatives: Enabling Access and Overcoming Barriers for People Experiencing Vulnerability. Journal of Service Research, online first under: https://doi.org/10.1177/10946705211013386.

Field, Joy M., Darima Fotheringham, Mahesh Subramony, Anders Gustafsson, Amy L. Ostrom, Katherine N. Lemon, Ming-Hui Huang, Janet R. McColl-Kennedy (2021). Service Research Priorities: Designing Sustainable Service Ecosystems,” Journal of Service Research, online first under: DOI: 10.1177/10946705211031302

Fisk, Raymond P., Alison M. Dean, Linda Alkire, Alison Joubert, Josephine Previte, Nichola Robertson, and Mark Scott Rosenbaum (2018). Design for Service Inclusion: Creating Inclusive Service Systems by 2050, Journal of Service Management, 29 (5), 834-858.