Steter Tropfen höhlt den Stein

Der Beitrag der BWL zur Reform des öffentlichen Rechnungswesens

Reinbert Schauer, Johannes Kepler Universität Linz/Österreich
Dennis Hilgers, Johannes Kepler Universität Linz/Österreich

Lange Zeit war in öffentlichen Verwaltungen der Rechnungsstil der Kameralistik vorherrschend, der sich nur auf die Steuerung von Zahlungsströmen bezog. Erst langsam setzten sich allgemein gültige Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Rechnungstheorie in der Verwaltungspraxis durch. Die Wissenschaftliche Kommission ÖBWL legte mit ihren „Leitlinien für die Reform des öffentlichen Rechnungswesens“ die Basis für umfassende Reforminitiativen im deutschen Sprachraum, die auch im Einklang mit internationalen Entwicklungen stehen.

Es dauert oft sehr lange, bis betriebswirtschaftliche Erkenntnisse den Weg in die Praxis finden. So war es auch bei der Ausgestaltung des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens. Seit dem 18. Jahrhundert wurde in den öffentlichen Verwaltungen der Rechnungsstil der Kameralistik gepflegt. Die alleinige Dokumentation von Zahlungsvorgängen in der Planung (Jahresvoranschläge) und in den Rechnungsabschlüssen stellte nur das Ziel der Liquiditätssicherung in den Vordergrund, für die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns und die Offenlegung von Vermögen und Schulden in ihrer Gesamtheit fehlte eine systematische Grundlage.

Ausgehend von der Funktionalistischen Dreikonten-Theorie (Lehmann/Thoms) plädierten Erich Kosiol und Klaus Chmielewicz bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer ausführlichen rechnungstheoretischen Grundlegung für ein 3-Komponenten-Rechnungswesen, das eine Finanzrechnung (zur Sicherung der Liquidität), eine Ergebnisrechnung (zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit) und eine Vermögensrechnung (zur stichtagsbezogenen Darstellung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten) umfasst und auf doppischer Grundlage einen integrierten Rechnungsverbund bildet. Dieses Rechnungskonzept ist von allgemeiner Gültigkeit und daher auch für öffentliche Verwaltungen eine richtungweisende Grundlage. Klaus Lüder entwickelte auf dieser gedanklichen Basis in Deutschland sein Konzept für ein Neues Kommunales Rechnungsmodell. Dietrich Budäus setzte sich schon zuvor mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten zur Entlastung kommunaler Haushalte und mit den Notwendigkeiten zur Reform des öffentlichen Rechnungswesens auseinander. In der Schweiz wurde von den kantonalen Finanzdirektoren unter der Führung von Ernst Buschor das Harmonisierte Rechnungsmodell (HRM) für Kantone und Gemeinden entwickelt und in der Praxis umgesetzt. Im Kontrast zum Begriff der Kameralistik findet der Ausdruck „Doppik“ als Kunstwort für Doppelte Buchführung in Konten heute breite Anwendung in der deutschsprachigen Verwaltungspraxis.

Die Wissenschaftliche Kommission ÖBWL hat sich schon kurz nach ihrer Gründung 1979 mit der Notwendigkeit einer Rechnungslegungsreform befasst, veröffentlichte 1988 „Leitlinien zur Reform des öffentlichen Rechnungswesens“1, setzte sich in der Folge grundlegend mit den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen für eine zeitgemäße Reform des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens auseinander und publizierte diese Erkenntnisse in einem Sammelband (Buschor/Brede 19932).  Zeitlich etwas später wurden auf internationaler Ebene, getrieben von Berufsvereinigungen der Wirtschaftsprüfer, die „International Public Sector Accounting Standards (IPSAS)“ erarbeitet, die ebenfalls ein 3-Komponenten-Rechnungswesen für den öffentlichen Bereich einfordern.

Auf dieser Grundlage wurde in der Schweiz das Rechnungswesen der Kantone und Gemeinden neu gefasst (HRM2), der Bund folgte 2007 mit dem „Rechnungsmodell des Bundes“. In Österreich wurde zunächst mit dem Bundeshaushaltsgesetz 2013 das Rechnungswesen des Bundes neu geordnet, wobei sowohl die Erkenntnisse der Wissenschaftlichen Kommission ÖBWL als auch die Schweizer Erfahrungen und die mit IPSAS verbundenen Bestrebungen zur Vereinheitlichung der nationalen Haushaltsregelungen Pate standen. Mit Wirksamkeit von 2020 wurde das 3-Komponenten-Rechnungs­wesen auch für die Länder und Gemeinden in Österreich verpflichtend. Während in Deutschland mittlerweile mehr als 60 Prozent der Gemeinden auf den reformierten Rechnungsstil umgestellt haben sowie einige Bundesländer (NRW, Hessen, Hamburg, Bremen), verharrt der Bund weiterhin auf der kameralen Bewirtschaftung und Rechenschaftslegung seiner Haushalte. Als Reaktion auf die Griechenlandkrise sowie die Six Pack-Regelungen im Jahr 2012 haben jedoch die Europäische Kommission bzw. Eurostat unter dem Begriff der European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) ein Reformprojekt initiiert, dessen Ziel die Modernisierung und Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in den EU-Mitgliedsstaaten nach eben jenem o.g. doppischen Vorbild ist. Die EPSAS werden sich inhaltlich stark an den IPSAS und den gemachten Erfahrungen im deutschsprachigen Raum orientieren, mit dem Ziel, bessere und vergleichbarere Daten über die finanzielle Verfassung der Mitgliedsstaaten zu präsentieren. Die zu erwartenden massiven Covid-pandemiebedingten Belastungen der öffentlichen Haushalte in Europa in den nächsten Jahren werden sich somit transparent in den Staatsbilanzen ablesen lassen können.

Reinbert Schauer, Prof. em., Institut für Public und Nonprofit Management, JKU Linz

Dennis Hilgers, Prof., Institut für Public und Nonprofit Management, JKU Linz

Quellenangaben:


Wissenschaftliche Kommission ÖBWL, Leitlinien für die Reform des öffentlichen Rechnungswesens, in: DBW, 48. Jg. (1988), Heft 5, S. 683 – 685.

Ernst Buschor & Helmut Brede (Hrsg.), Das neue öffentliche Rechnungswesen – Betriebswirtschaftliche Beiträge zur Haushaltsreform in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Schriften zur öffentlichen Verwaltung und zur öffentlichen Wirtschaft, Band 133), Baden-Baden: Nomos, 1993.