Kuppelproduktion und Klimawandel

Renaissance eines vernachlässigten Produktionstyps

Harald Dyckhoff, RWTH Aachen University

Kuppelproduktion ist ein allgegenwärtiges reales Phänomen. Obwohl Ursache der meisten Umweltprobleme, insbesondere des mit der Industrialisierung bislang verbundenen Klimawandels, wurde es vom Mainstream der Wirtschaftswissenschaften im 20. Jahrhundert weitgehend ignoriert. Mit der zunehmenden Relevanz des Umwelt- und Klimaschutzes wird Kuppelproduktion seit den 1990er Jahren von der betriebswirtschaftlichen Produktionsforschung und -lehre stärker thematisiert, vor allem bei Fragen der Kreislaufwirtschaft sowie der Vermeidung und Entsorgung unerwünschten Outputs.

„Der CO2-Verbrauch wird durch einen CO2-Preis bestraft.“ Diese Aussage hat ein Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat auf einer Pressekonferenz zum epochalen Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende April 2021 über die Klimapolitik der deutschen Regierung getroffen. Sie ist nicht nur falsch, sondern auch symptomatisch für die Behandlung von CO2 und anderen Treibhausgasen als Objekte von Politik, Rechtsprechung und Wirtschaft. CO2 entsteht naturgesetzlich zwangsläufig bei der Verbrennung der fossilen Rohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas. Es ist ein Kuppelprodukt dieser Art der Gewinnung nützlicher Energie. Richtig muss es somit heißen: Die Erzeugung (!)von CO2 wird durch einen (negativen) CO2-Preis bestraft. Umgekehrt müsste der „CO2-Verbrauch“ sogar belohnt werden, etwa wenn es der Atmosphäre entnommen und dauerhaft im Boden gespeichert wird.

Output, der zwangsläufig bei der Erbringung einer Leistung durch ein Produktionssystem anfällt, heißt Kuppelprodukt, wenn er sich in seiner Art von ihr unterscheidet, sonst Überschuss. So sind viele Abfälle und Emissionen bei den heutigen Technologien in Industrie, Verkehr und Landwirtschaft, aber auch beim Konsum, kaum vermeidbar. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiegesetz) besagt sogar, dass bei jeder Energieumwandlung die nicht arbeitsfähige Energie zunimmt, meist in Form von Abwärme. Jede Produktion ist somit streng genommen eine Kuppelproduktion. Weil Kuppelprodukte in wirtschaftlicher Sicht jedoch meist unbedeutend sind oder waren, hat die ökonomische Theorie sie kaum beachtet, sodass Kraftwerke lange Zeit in Lehrbüchern als Paradebeispiel der Erzeugung einer einzigen Art von Output angeführt werden konnten. Im aktuellen Band 2 der vom VHB geförderten „Ideengeschichte der BWL“ findet sich ein kritischer Überblick über 250 Jahre ökonomischer Analyse der Kuppelproduktion seit Adam Smith.1

Kuppelproduktion war für die klassische Wirtschaftstheorie in den bis ins 19. Jahrhundert durch Ackerbau und Viehzucht dominierten Gesellschaften von großer Bedeutung, wird jedoch seit der Industrialisierung von der Neoklassik bis heute weitgehend ignoriert. Beispiele einer zwangsläufig verbundenen Produktion von Fleisch plus Milch von Kühen, Wolle von Schafen oder Eier von Hühnern wurden von den klassischen Autoren regelmäßig verwendet. ‚Kuppelproduktion‘ als Begriff ist jedoch kaum älter als der VHB. Er wurde 1919 von Eugen Schmalenbach bei der Analyse von Gemeinkosten in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt.2 Paul Riebel hat 1955 in seiner betriebswirtschaftlichen Habilitationsschrift mit einer Fülle praktischer Beispiele eine umfängliche und heute noch maßgebliche Morphologie entwickelt und verdeutlicht, dass kein Produktions- oder Arbeitsvorgang völlig verlustlos in Richtung seines Ziels abläuft und zwangsläufig stets teils nutzbare Nebenleistungen, teils aber auch unverwertbare oder überhaupt nicht erfassbare Abfälle und Verluste von Stoffen und Energien entstehen.3 Obwohl Kuppelproduktion in wichtigen Branchen, etwa Chemie- und Stahlindustrie, immer schon eine große Rolle spielt, hat sich die Produktionswirtschaftslehre erst mit der zunehmenden Relevanz der Umweltproblematik des Phänomens in seiner ganzen Breite und Bedeutung angenommen. Seitdem bildet Kuppelproduktion ein Kernthema in der BWL.

Große Teile der Wirtschaftswissenschaften und der Praxis beachten Kuppelprodukte aber auch heute noch nicht angemessen. So stellen gängige ökonomische Modelle sogenannter ‚externer Effekte‘ und ‚externer Kosten‘ keinen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zu den sie hervorrufenden schädlichen Outputs von Produktion und Konsum her. Symptomatisch ist auch, dass das Grundgesetz einen abschließenden Steuertypenkatalog vorsieht, der nur Verbrauchs-, Aufwands- und Verkehrssteuern, aber keine Steuern auf unerwünschten Output kennt. Deshalb ist die direkte „Besteuerung einer CO2-Emission … steuerverfassungsrechtlich ausgeschlossen“ und kann lediglich auf Umwegen am Verbrauch fossiler Rohstoffe ansetzen, so die Auffassung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags vom Sommer 2019. Die Erkenntnisse der BWL zum Umgang mit dem Phänomen der Kuppelproduktion könnten dagegen helfen, dem Klimawandel sowie anderen Umweltproblemen konzeptionell und methodisch in Zukunft besser zu begegnen und so Politikern für diese zentrale Frage des 21. Jahrhunderts klarere Handlungsempfehlungen zu geben.

Harald Dyckhoff, RWTH Aachen

 

Quellenangaben:

Dyckhoff, H. (2021). Das allgegenwärtige Phänomen der Kuppelproduktion und die Ignoranz des Mainstreams für nachhaltiges Wirtschaften. In: Matiaske, W.; Sadowski, D. (Hrsg.): Ideengeschichte der BWL II. Wiesbaden: Springer Gabler (im Druck).

Schmalenbach, E. (1919). Selbstkostenrechnung I. In: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Vol. 13, S. 257–299 und 321–356

Riebel, P. (1955). Die Kuppelproduktion – Betriebs- und Marktprobleme. Köln & Opladen: Westdeutscher Verlag.