Kommt man für Steuervermeidung ins Gefängnis?
Deborah Schanz, Ludwig-Maximilians-Universität München
Jeder kennt die Zeitungsschlagzeilen, in denen großen Konzernen Steuervermeidung vorgeworfen wird und Kunden mit Boykott drohen. Jeder kennt auch die Bilder, auf denen Steuerhinterzieher in Handschellen abgeführt und später zu Haftstrafen verurteilt werden. So ähnlich die beiden Nachrichten auch erscheinen mögen, so unterschiedlich sind doch die dahinterliegenden Phänomene: Steuervermeidung und Steuerhinterziehung.
Steuerhinterziehung ist (nicht nur) in Deutschland eine Straftat. Wer „über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht“ und hierdurch Vorteile erlangt, wird bestraft, wobei das Strafmaß von der Höhe der hinterzogenen Steuer abhängt: Das Repertoire reicht von einer Geldstrafe bis zur Freiheitsstrafe von maximal 10 Jahren – besonders schwere Fälle werden dabei immer mit einer Freiheitsstrafe geahndet. Oben drauf kommen, neben der Nachzahlung der hinterzogenen Steuer, auch Hinterziehungszinsen von 6% pro Jahr.
Eine deutsche Besonderheit ist die Selbstanzeige: Wer in vollem Umfang die bisher unentdeckten, unrichtigen Angaben berichtigt, wird nicht bestraft. Die Anforderungen sind dabei allerdings hoch, die vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben müssen zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vollständig erfolgen. Bei erfolgreicher Selbstanzeige sind die Steuern nachzuzahlen, zuzüglich 6% jährlichem Zins, zuzüglich Zuschlägen von bis zu 20%. Wie schon einige Steuerpflichtige schmerzlich erfahren mussten, ist die Selbstanzeige jedoch unwirksam, sobald darin Fehler oder unvollständige Angaben vorliegen: Die Strafbefreiung bleibt dann aus.
Von Steuerhinterziehung abzugrenzen ist die Steuervermeidung. Steuervermeidung ist ein legales, daher auch nicht strafbares, Verhalten des Steuerpflichtigen. In den Worten des BGH von 1965: „Wer die Pflicht hat, Steuern zu zahlen, hat das Recht Steuern zu sparen“. Heute spricht man auch von Steueroptimierung, -planung oder -gestaltung. Das Spektrum der Steuervermeidung ist dabei groß: Sie fängt an beim Ausnutzen des Splittingvorteils von Verheirateten oder der Wahl eines Autos mit Hybridantrieb als Dienstwagen, bei dem die private Nutzung aktuell nur zur Hälfte in der Steuererklärung landet. Am Ende des Spektrums stehen verschlungene internationale Strukturen von Konzernen, die die hohe Komplexität des Steuerrechts, steuerlich ungeklärte Graubereiche und die mangelnde Konsistenz des Steuerrechts verschiedener Staaten ausnutzen.
Beim Ausnutzen des international oft vorhandenen Steuergefälles gilt: In Deutschland ansässige Unternehmen zahlen im Regelfall Steuern nach, wenn sie Töchter oder Betriebsstätten im Ausland haben, die niedrig besteuert werden. Andere Staaten haben – noch – nicht durchgehend vergleichbare Regelungen. Daher sind die in Deutschland für Steuervermeidung bekannt gewordenen Unternehmen typischerweise gerade nicht deutsch, sondern vor allem amerikanisch.
Und so stellen sich folgende, auf den ersten Blick widersprüchliche Beispiele als korrekt heraus: Ein Steuerpflichtiger versteckt Geld im Ausland, hinterzieht Steuern auf erzielte Erträge und wird dafür zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, während ein anderer Steuerpflichtiger durch geschickte steuerliche Strukturierung eine atemberaubend niedrige Steuerquote hat – völlig transparent und gesetzeskonform.