Verderben wir den Charakter?
Ausbildung und Orientierung in Wirtschaft und Management
Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Technische Universität Berlin
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass wir mit unserer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung die in der Managementpraxis vorzufindenden kognitiven Orientierungen beeinflussen. Wir sollten deshalb unseren Studentinnen und Studenten mehr als nur ein „Denken in Anreizen“ beibringen.
Im Juli 2021 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Artikel von Rainer Hank; Titel: „Das kalte Herz des Kapitalisten“. Verdirbt das Wirtschaftsstudium den Charakter? Berichtet wird von Ökonomen, die experimentell untersucht haben, ob das im Rahmen einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung vermittelte Denken ein egoistisches Verhalten befördert, oder ob diejenigen eher Ökonomie studieren, die von Vornherein eher egoistische Dispositionen haben. Einer Studie von Bruno Frey zufolge sei, so Hank, eher letzteres der Fall.
Klar mag sein: Das Denken bestimmt unser Handeln. Mit John Maynard Keynes: „Die Ideen von Ökonomen … sind, gleichgültig ob sie richtig oder falsch sind, einflussreicher als gemeinhin angenommen. ” Dabei ist ökonomisches Denken wesentlich ein Denken in Anreizen; das belegen die Prinzipal-Agenten- oder die Transaktionskostentheorie, die sich auch in den Managementdisziplinen und im Corporate Finance-Bereich so viel Raum verschafft haben. Solche Theorien und einschlägige empirische Erkenntnisse haben unser Verständnis von „Corporate Governance“ sowie die Ausgestaltung von Anreizsystemen maßgeblich geprägt und damit auch zur Entwicklung von Kodizes für „verantwortungsvolle“ Unternehmensführung beigetragen.
Wie aber gelangen nun, Keynes folgend, Ideen in die Unternehmenspraxis? Bei der Beantwortung dieser Frage mag die „Upper Echelon“-Theorie helfen, die die Art des Einflusses des Top-Managements auf Unternehmen durch kognitive Orientierungen erklärt, die sich aber nur durch Ersatzindikatoren erfassen lassen. Ein besonders bedeutender Indikator ist hier die Ausbildung! Sie legt fest, wie später gehandelt wird. Es spielt also eine Rolle, was wir unseren Studentinnen und Studenten beibringen.
Natürlich ist der Berufs- und Führungsalltag in Unternehmen nicht allein durch die kognitiven Ausprägungen determiniert, die im Studium vermittelt werden. Ghoshal und Moran haben in einem Beitrag aus den 1990er Jahren gezeigt, dass die Prognosen der Transaktionskostentheorie sich verändern, wenn wir auch die Möglichkeit eines „Gemeinschaftsgefühls“ berücksichtigen, das den Hang zum Opportunismus konterkariert. Und dass die Organisationsstruktur und -kultur selbst einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob wir zu Trittbrettfahrerei und Drückebergerei, zu Opportunismus und Trägheit oder zu Initiative und Kreativität, zu vertrauensvoller Zusammenarbeit und Lernbereitschaft tendieren.
Dennoch mag es zutreffen, dass wirtschaftswissenschaftliche Fächer Studierende anziehen, die Kosten- und Nutzenabwägungen wichtig finden. Die Frage ist, woher solche kognitiven Orientierungen kommen. Welche Rolle spielt das Elternhaus, die Vorschul- und Schulausbildung, die genetische Disposition? Das führt in den Einzugsbereich vieler anderer Disziplinen sowie zu der derzeit so aktuellen Grundsatzdebatte hinsichtlich der sozialen Konstruktion unserer Welt. Ich plädiere pragmatisch für eine 50/50-Antwort – die Hälfte ist sozial determiniert, die andere Hälfte Veranlagung. Die erste Hälfte rechtfertigt es, über die kognitiven Orientierungen nachzudenken, die in Vorschul- und Schulerziehung vermittelt werden. Und im Rahmen unserer universitären Ausbildung. Das Studienangebot sollte deutlich über die klassischen Ökonomieangebote hinausgehen, wenn wir den Charakter unserer Studierenden nicht verderben, sondern einen Beitrag zu einer besseren – nachhaltigeren – Berufspraxis leisten wollen.